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Der sehr interessante Bericht über das Tier und den Tierschutz aus christlich, religiöser Sicht von
Pfarrer Traugott Vitz aus Hilden mit dem Titel Mitgeschöpf Tier wurde "entdeckt" auf
www.kirchezumhoeren.de
(Das Geistliche Wort – WDR 5 Sendedatum: Sonntag, 08.08.2010)
Hauptsache Tierschutz e.V. bedankt sich für die freundliche Genehmigung des Urheberrechtsinhabers,
den Beitrag auch auf unsere Seiten übernehmen zu dürfen.
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Morgens wird als erstes der Wassernapf für meinen Hund frisch gefüllt. Erst dann koche ich mir Kaffee. Ich vermute mal, dass das bei vielen Tierbesitzern ähnlich ist. Schließlich ist mein Tier auf mich angewiesen; es kann sich nicht allein versorgen.
Es lebt mit mir und macht mir Freude – warum sollte ich dann nicht auch auf seine Bedürfnisse achten?
Das ist die eine Seite, die Seite von Haushund Nelly, Mäuserich Freddy und Wellensittich Coco. Wir lieben sie, sorgen für sie und trauern, wenn sie sterben.
Die andere Seite sind die 24.000 Jungbullen auf einem Gut in Mecklenburg-Vorpommern. Die haben keine Namen, verbringen im Schnitt anderthalb Jahre ohne Auslauf im Stall und auf Spaltenboden – einer Art Gitter, durch das der Mist hindurchfallen kann – und bringen ihrem Besitzer jedes Jahr fast 4 Millionen Euro Agrarsubvention ein, zusätzlich zum Verkaufspreis, den am Ende der Schlachthof hinblättert. Tierliebe? Fürsorge? Trauer? Das steht in so einem Betrieb nicht hoch im Kurs.
Ich weiß nicht, wie Sie das sehen – ich finde, ein solcher Kontrast ist klärungsbedürftig. Ich heiße Traugott Vitz und bin evangelischer Gemeindepfarrer in Hilden bei Düsseldorf. Und ich finde auch, dass die Tiere und ihr Leben an unserer Seite ein Thema christlicher Ethik sind. Davon soll heute die Rede sein.
Dass Tiere auch Schmerzen empfinden können, dass man sie vor der Grausamkeit der Menschen schützen muss – dieser Gedanke ist ziemlich neu in der Menschheitsgeschichte. Zumindest hat es bis vor knapp 200 Jahren keine Tierschutzgesetzgebung und keine Tierschutzvereine gegeben. Ein englisches Gesetz von 1822 ist das erste, das ich finden konnte. Zwei Jahre später wurde als erster auf der Welt der englische Tierschutzverein gegründet.
Bis dahin galt: Mit einem Tier kannst du machen, was du willst. Es ist eine Sache, mehr nicht.
Diese Einstufung kam letzten Endes aus dem Römischen Recht, aber sie wurde auch in den Jahrhunderten seit der Antike nie ernsthaft in Frage gestellt. Im Gegenteil. Der französische Philosoph René Descartes sah im 17. Jahrhundert in den Tieren mechanisch erklärbare Wesen, deren Behandlung ohne ethische Bedeutung ist. Wörtlich sagte er:
„Ihre Schmerzensschreie bedeuten nicht mehr als das Quietschen eines Rades.“
Bei solchen Aussagen läuft es mir kalt über den Rücken.
Aber so leid es mir als Theologe tut, die Aussagen der Kirche waren über weite Strecken auch nicht tierfreundlicher.
Wenn man zum Beispiel darüber stritt, was denn eigentlich die menschliche Seele sei, was sie charakterisiert und ausmacht, dann war es ja unvermeidlich, dass man auch von den Tieren sprach, der Abgrenzung wegen. Dabei kamen die Tiere allerdings eher schlecht weg.
Der antike Kirchenvater Augustinus billigte ihnen zwar eine Seele im Sinne von „Lebensgeist“ zu, aber nur der Mensch als vernunftbegabtes Wesen hatte für ihn eine unsterbliche Seele.
Der große mittelalterliche Kirchenlehrer Thomas von Aquin sah das im Prinzip genau so. Und, so argumentierte er: Da Tiere keine unsterbliche Seele haben, könne es für sie kein Jenseits geben:
„Die Seele des Tieres ist nicht teilhaftig eines ewigen Seins.“
Dabei blieb es – im Grunde fast bis heute. Die Mehrheitsmeinung in den christlichen Kirchen ging und geht davon aus, dass Gott im Grunde nur am Menschen interessiert ist. Etwas burschikos formuliert: „Im Himmel gibt’s keine Tiere.“
Wer Tiere liebt, fühlt sich von solchen Aussagen verletzt. Meist hat er keine Lust, die Kirchenväter auf logische Schwachstellen abzuklopfen, blickt nur kurz seinem Tier ins Auge und erklärt: „Ich seh doch, dass er eine Seele hat. Die Kirche kann mir gestohlen bleiben.“
So steht dann liebevolle Erfahrung gegen ehrwürdige Doktrin, und ich werde den Verdacht nicht los, dass die Streitenden sich gegenseitig und das Thema gründlich missverstanden haben.
Denn: Warum wird da überhaupt um die Seele gestritten?
Ursprünglich wurde die Frage doch deshalb verhandelt, damit man besser herausarbeiten konnte, was es mit dem Menschen auf sich hat. Mit seinem Wesen, seiner Rolle in der Welt, seiner Hoffnung.
Der Tierfreund heute aber, der mit seinem Pfarrer darüber streitet, ob Tiere eine Seele haben, der stellt diese Frage meist aus Kummer, oder weil er als Anwalt der Tierrechte gegen ihre Abwertung und Geringschätzung kämpft. Für ihn steht also bei dieser Frage nicht der Mensch im Fokus, sondern das Tier.
Aber als die Lehre entwickelt wurde, dass nur der Mensch eine unsterbliche Seele habe, fragte niemand nach einem Himmel für Tiere, und folglich wurde in der Lehre von der Erlösung über Tiere auch nicht nachgedacht.
Ich ziehe daraus den Schluss: Die beiden reden von verschiedenen Dingen, selbst wenn sie das gleiche Wort „Seele“ gebrauchen, und wer heute mit Tierfreunden in einem fruchtbaren Gespräch bleiben will, der sollte nicht bei Augustinus und Thomas nachschlagen. Ich bin dafür, in die ganz alten Quellen zu schauen: Ins Alte und Neue Testament. Das haben nämlich auch die Tierschutzpioniere getan.
1821 lebte in Mössingen der evangelische Pfarrer Christian Adam Dann. Entsetzt entdeckte er eines Tages einen von Gewehrkugeln durchlöcherten Storch, und er nahm sich vor, etwas zu tun. Er verfasste eine Flugschrift mit dem Titel:
„Bitte der armen Thiere, der unvernünftigen Geschöpfe, an ihre vernünftigen Mitgeschöpfe und Herrn, die Menschen“
Das ließ er drucken und machte darin klar, dass der Schutz der Tiere eine in der Bibel begründete Forderung sei; er verwies auf das alttestamentliche Buch der Sprichwörter, wo es heißt:
„Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs, aber das Herz der Gottlosen ist unbarmherzig.
Als Pfarrer Dann gestorben war, gründete sein Freund und Kollege Albert Knapp 1837 den ersten deutschen Tierschutzverein. Albert Knapp verfasste ein Flugblatt, das er als Beilage mit der Zeitung „Schwäbischer Merkur“ in Umlauf brachte, und er rief darin zur Gründung weiterer örtlicher Vereine auf. Sein politisches Ziel war die Verankerung des Tierschutzes im Gesetz. Das gab es nämlich bisher nicht. Und zur Begründung griff er, Theologe der er war, einen Gedanken seines Freundes Dann wieder auf: den der Mitgeschöpflichkeit.1
Diesen Gedanken hatten die beiden schwäbischen Pfarrer aus dem Römerbrief des Apostels Paulus. An einer Stelle, wo Paulus von der Hoffnung der Menschen auf die Erlösung der Welt spricht, weist er darauf hin, dass ja nicht die Menschen allein unter der gegenwärtigen Misere leiden; die ganze Schöpfung leidet vielmehr mit:
„Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis jetzt noch stöhnt und in Wehen liegt wie eine Frau bei der Geburt.“2
Kaum ein Theologe hatte bis dahin den Finger darauf gelegt, dass der Begriff „Schöpfung“, wenn man ihn ernst nimmt, nicht nur die gesamte Menschheit einschließt, sondern auch die Tiere und Pflanzen3. Wenn die Bibel den Menschen und das Tier beide als Geschöpfe Gottes begreift und nebeneinander stellt, dann heißt das nicht, dass der Mensch degradiert wird, sondern genau das Gegenteil. Paulus deutet an:
(Gott) „gab aber seinen Geschöpfen die Hoffnung, dass auch sie eines Tages von der Versklavung an die Vergänglichkeit befreit werden und teilhaben an der unvergänglichen Herrlichkeit, die Gott seinen Kindern schenkt.“4
Soll heißen: Es ist richtig, dass es Gott zunächst um die Menschen geht. Aber er will die gesamte Schöpfung nicht dem Verderben überlassen. Die Hoffnung auf Erlösung ist nicht auf den Menschen beschränkt.
Erlösungshoffnung auch für Tiere? Wie soll das denn aussehen?
Wer sich solche Gedanken macht, landet leicht auf dem Feld der freien Spekulation. Zum Beispiel auf den Seiten im Internet, wo man einem verstorbenen Tier einen virtuellen Grabstein errichten und Botschaften hinterlassen kann.
Da schreibt etwa eine Claudia an ihren Hund Benji:
„Wir werden uns irgendwann wiedersehen, dann sind wir für immer zusammen, dann kann uns nichts mehr trennen.“5
Autor: Wenn ich als Pfarrer die teilweise herzzerreißenden Botschaften lese, die Menschen ihren Tieren gewidmet haben, dann sehe ich: Das ist im Grunde die gleiche Trauer, die mir im Zusammenhang mit verstorbenen Menschen begegnet. Und wenn ich auch die Botschaften der Trauernden nicht alle unterschreiben mag, so kann ich doch die Gefühle verstehen, die da ausgedrückt werden.
Ich würde mir allerdings wünschen, dass die trauernden Tierfreunde mit der Zeit wieder etwas mehr in den Blick bekommen als nur ihren persönlichen Verlust.
Denn: Wer über der Tierliebe zum Menschenfeind wird, der vereinsamt. Wer nur die Gedenkstätte seines Verlustes pflegt, verliert seine Fähigkeit, Zukunft zu gestalten. Damit wir – gerade auch wir Christen – unserer Verantwortung gegen die Mitgeschöpfe gerecht werden, brauchen wir aber dasBündnis der Vielen. Und es ist auch nicht mehr damit getan, Exzesse und Grausamkeiten im eigenen Umkreis zu verhindern. Nicht umsonst machen wir uns heute Sorgen um das weltweite Verschwinden ganzer Tierarten. Nicht umsonst haben sich neben den klassischen Tierschutzvereinen etwa seit den 1970er Jahren neue Bewegungen gegründet, die klipp und klar von Tierrechten sprechen. Wir brauchen den Blick auf die Schöpfung als ganze und auf die Tiere als Mitgeschöpfe. Das sieht auch unser Tierschutzgesetz so, in dessen § 1 das Wort „Mitgeschöpf“ ausdrücklich drin steht. Was das bedeutet, sagte die Vollversammlung des Weltkirchenrates 1990 in Seoul:
„Da die Schöpfung von Gott ist und seine Güte die ganze Schöpfung durchdringt, sollen wir alles Leben heilig halten.“
Alles Leben. Auch die 24.000 Jungbullen in Mecklenburg-Vorpommern, die keinen Namen haben und für die niemand im Internet eine virtuelle Kerze anzündet. Es wird nicht leicht werden. Aber es ist gut zu wissen, dass Gott versprochen hat, ihr und unser Stöhnen gleicherweise zu hören und zu beantworten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag. Mein Name ist Traugott Vitz; ich bin evangelischer Gemeindepfarrer in Hilden bei Düsseldorf.
© 2010 Der Evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR
Quellenhinweise innerhalb des Textes